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HIP '97 Rückblick

Schon viel ist geschrieben worden über die HIP: im Spiegel, in der c't und natürlich vor allem im Netz. Und alle warfen sie ein Licht auf den einen oder anderen Aspekt, doch gelang es keinem Artikel, die Atmosphäre, die auf dem holländischen Campingplatz herrschte, treffend zu beschreiben. Auch ich werde dabei scheitern. Warum? Wegen der vielen Multiversen. Doch dazu später.

Zunächst ein paar sogenannte Fakten, basierend auf den Aussagen der Veranstalter. Rund 1500 Leute wurden am professionell organisierten Eingang mit dem obligatorischen Ausweis versehen, der von einigen frisch gehackten Perl-Skripten in Echtzeit produziert wurde. By default wurde man als "Freiwilliger" eingestuft, Sonderstatus gab es für andere Wesen, wie z.B. die Polizei, die einwilligte, sich mit orangen Ausweisen für alle kenntlich zu machen. Die überaus große Beliebtheit dieser Ausweise führte dann aber schnell zu einer unkontrollierbaren Flut von Pseudopolizisten, so daß mal wieder nichts wahr und alles erlaubt war.

Die 1500 Leute brachten auch 1500 Rechner mit - soviele wurden später gleichzeitig auf dem Ethernet gezählt. Diesen Rekord darf die HIP für sich verbuchen: das größte Ad-Hoc-Open-Air-Netzwerk der Welt mit immerhin 720 KByte /sec Internetzugang! Pfiffig wurde das Problem der IP-Nummern-Vergabe gelöst. Für jede Nummer gab es eine passende Wäscheklammer, auf der die Zahlenfolge mit Filzi vermerkt war. Doppelbelegung ausgeschlossen und selbstdokumentierend. Ein Konzept, das sich sicherlich auch auf dem Chaos Congress durchsetzen wird.[Inzwischen als RFC 2322 standardisiert- CD-Red.]

Die bereitgestellte Infrastruktur war vom Start weg den gierigen Hackern ausgeliefert. Der portable Telefonzellenblock der PTT (10 Kabinen!) sollte eigentlich den Telefonkartenabsatz fördern. Es dauerte allerdings keine drei Stunden bis die Nachricht über den Platz ging, daß man nach Wahl einer Notrufnummer einen neuen Wählton bekam und danach beliebige Nummern anwählen konnte - kostenlos natürlich. Schnell wurde klar, was dieser Platz an Potential angesammelt hat.

Und so ging es weiter. Das nächste Ziel lautete "Hack-Me", oder genauer: hackme.campsite.hip97.nl. Dieser spartanisch ausgestattete Linux-386-Rechner bot sich der versammelten Hackerschaft als Objekt der Begierde feil und hielt wider Erwarten bis zum letzten Tag durch. Es gelang niemandem, die "Intruder-Alert"-Lampe, die auf dem Rechner montiert war, durch eine Hackattacke zum Leuchten zu bringen.

Viel Schnickschnack wohin es das Auge auch trieb: das HIPcar scannte per Videokamera die Umgebung und eine "Künstlerin" ließ Computerfreaks ihre Vorstellung von Cyberspace in Knete festhalten.

Die obligatorischen HIP-T-Shirts fanden reißenden Absatz - genau wie die in Massen aufgefahrene Coffein-Schock-Cola Jolt.

Im Mittelpunkt des Platzes eine Stätte der Ruhe: Bill Gates' Grab. Diese unerwartete Gewißheit über das Hinscheiden des meistgehaßten Individuums führte zu wahrhaft rührenden Prozessionen zu diesem kleinen Fleck Erde. Linux- und Macintosh-Anhänger fanden dort zu einer kollektiven Gefühlswelt, die man treffend nur mit dem englischen Wort "Relief" beschreiben kann.

Doch welches Gadget man auch betrachtete: den tiefsten Eindruck von allem hinterließen die Teilnehmer selbst. In aberwitzigen Zeltkonstruktionen machten sie aus dem Platz ein wahrhaftiges Rechenzentrum. Stellt Euch das einfach mal vor, Ihr, die Ihr Euren Arsch nicht hochgekriegt habt, um an diesem seltenen Ereignis teilzunehmen: die Gemeinde "Cyberspace", die Virtual Community saß leibhaftig Chip an Chip und feierte ihre dreitägige Inkarnation bevor sie wieder in das Internet diffundierte. Auch hier beschlich mich wieder ein englisches Wort, das man nur ungenügend in s Deutsche übersetzen kann: strange.

Kommen wir zur Manöverkritik. Eigentlich verstand sich die HIP ja als Kongreß: zahlreiche Workshops und Vorträge standen auf der Tagesordnung. Ein Minuspunkt war die unzureichende akustische Ausleuchtung des übergroßen Zirkuszelts, das sicherlich sehr cool war (aber dafür viel zu heiß!). Das Resultat war, daß man viele Vorträge nur sehr schlecht verstehen konnte (von den eingeschränkten Englisch-Kenntnissen der internationalen Referenten ganz zu schweigen).

Das Workshop-Zelt bot dafür die gewünschte Nähe zum Vortragenden, doch wurde es hier schnell zu eng. Die Weitläufigkeit des Platzes und die Hitze taten ihr übriges, das offizielle Programm an einem vorbeilaufen zu lassen. So konnte die HIP ihr eigentliches Ziel, nämlich eine große Öffentlichkeit für die Themen der Hacker zu finden, nur beschränkt erfüllen. Das Internet, so scheint es, ist dann doch der effektivere Ort, um sich mit Informationen zu betanken.

Der klare Vorteil der HIP'97 ist aber unbestritten: you meet the players!

tim@ccc.de

 

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